Digitales Führen bedeutet ein deutlich anderes Arbeiten

Digitales Führen bedeutet ein deutlich anderes Arbeiten

Bild Copyright: Screenshot Wirtschaft in Mainfranken 06-21 zeigt Prof. Dr. Steffen Hillebrecht

Interview des Monats (WiM Ausgabe 06-21):
Seit Beginn der Corona-Krise arbeiten viele Beschäftigte im Homeoffice – manche davon waren seit Monaten nicht mehr im Büro. Die fehlende räumliche Nähe stellt Führungskräfte vor neue Herausforderungen: Wie kommuniziert man mit Beschäftigten, die von zu Hause aus arbeiten? Und vor allem: Wie motiviert und führt man Mitarbeiter im virtuellen Raum? Darüber hat WiM mit Prof. Steffen Hillebrecht von der FHWS gesprochen.

WiM: Herr Prof. Hillebrecht, arbeiten Sie aktuell im Homeoffice?

Hillebrecht: Ja, seit März 2020. Ich habe seither praktisch nur eine Lehrveranstaltung in Präsenz abhalten können, den Einführungstag für die angehenden Medienmanager im Herbst letzten Jahres – Corona-Karneval: schön maskiert und in Kleingruppen.

WiM: Wie motivieren Sie Ihre Studenten, am Ball zu bleiben? Die meisten Veranstaltungen finden ja rein virtuell statt.

Hillebrecht: Man merkt deutlich die Verlorenheit der jungen Leute. Ich stelle jetzt mehr Lernmaterial im E-Learning-System bereit, Probeaufgaben, ergänzendes Lesematerial. Und ich versuche, Zuversicht auszustrahlen – irgendwann wird die Seuche zu Ende sein, so oder so. Meine Eltern haben einen Weltkrieg mit Bomben und Vertreibung überlebt.

Zum authentischen Auftritt gehört aber auch, dass ich meine eigene Hilflosigkeit in bestimmten Dingen zugebe. Als perfekter Zampano würde ich meine Studenten eher runterdrücken. Mir fehlt mein Publikum – ich merke ja kaum, ob meine Leute noch am Thema sind oder nicht. Das sage ich ab und zu in Vorlesungen, und es kommt immer ein ganz dankbares Echo. Die Studierenden spüren, nach meinem Eindruck, dass sie mir nicht egal sind.

WiM: Übertragen wir das auf die Unternehmen in Mainfranken: Wie kommuniziert man als Führungskraft mit Beschäftigten, die komplett von zu Hause aus arbeiten?

Hillebrecht: Technisch gesehen: mit allem, was man hat, Telefon, Zoom, Mail-Nachrichten. Menschlich gesehen, und das ist der deutlich schwierigere Part: Ich habe nicht mehr die vielen Begegnungen zwischendurch und führen heißt ja auch, dass ich die Menschen treffe und anleite, die mir anvertraut sind. Wichtig ist, jeden Tag ein Zeitfenster anzubieten für Fragen. Und bei Kontakten nach Möglichkeit ein, zwei privatere Fragen zu stellen, an der Person Anteil zu nehmen. Vielen fehlt ja der Resonanzboden, und sie sind durchaus dankbar, wenn sie mal etwas außerhalb der Tagesordnung bereden können. So erfahre ich manches, was im weiteren Gespräch zum Beispiel das Thema für eine Abschlussarbeit ergab und in einem weiteren Fall die Empfehlung zu einem Unternehmen, das eine Nachwuchskraft suchte.

WiM: Was bedeutet „digitales Führen“? Was sollten Chefinnen und Chefs besonders berücksichtigen?

Hillebrecht: Digitales Führen bedeutet ein deutlich anderes Arbeiten: einerseits mehr Vertrauen und Handlungsspielraum erlauben, damit die Mitarbeitenden aus dem Homeoffice möglichst situationsgerecht agieren können. Ich sehe durchaus, wie die andere Seite eingespannt sein kann durch private Sachen – wenn eine Studentin ihr Baby auf dem Schoß sitzen hat, weil es einfach nicht anders geht, dann findet sich eine Lösung für den Moment. Ich muss ein paar Unsicherheiten mehr aushalten können und ziemlich agil auf die Ergebnisse eingehen. Aber es wird auch
wertgeschätzt, und es steigert die Bereitschaft auf der anderen Seite, irgendwie doch noch die vereinbarten Ziele zu erreichen. Ich bin nicht der Ober-Kontrolletti und kann den Part ganz gut.

Und andererseits in bestimmten Dingen sehr genaue Vorgaben zu machen, damit nicht noch mehr Unsicherheit entsteht, Checklisten, Formblätter, so was. Klarer vorausdenken, was an Problemen entstehen kann, welche Konsequenzen bestimmte Handlungen haben können, so etwas. Ich habe jetzt sehr genaue Anleitungen erstellt, was ich an Vorarbeit vor der Vereinbarung einer Bachelor- oder Masterarbeit erwarte, weil ich keine Zeit mehr habe, erst mal eine halbe Stunde über mögliche Themen zu sprechen. Die Zeit geht jetzt für andere Aufgaben drauf, und das stellt mich vor unerfreuliche Herausforderungen – ich muss mich in einer Art und Weise strukturieren, wie ich es vorher nicht nötig hatte. Aber so langsam bekomme ich Boden unter die Füße.

Bei digitalen Besprechungen kommt etwas hinzu, was man gemeinhin unterschätzt. Wir haben diese um ca. eine Sekunde versetzte Kommunikation über Zoom (oder was auch immer) – ich sehe nicht sofort, was den oder die anderen bewegt, wie er oder sie meine Äußerungen auffasst, und das erzeugt eine andere mentale Anspannung. Ich mache inzwischen abends um 18 Uhr ausnahmslos den Rechner aus. Es geht einfach nicht mehr, und dadurch bleiben regelmäßig ein paar Sachen liegen, die ich früher einfach hinten drangehängt hätte.

WiM: Auf welche Tools sollten Chefs setzen?

Hillebrecht: Wir haben die Möglichkeit, mit verschiedenen Collaboration-Tools zu arbeiten, Datentausch und Daten-Sharing über Sharepoint oder Trello oder was auch immer, Besprechungen über Zoom, Adobe Connect, MS Teams und, und, und. Wichtig ist aus meiner Sicht, sich nach dem Ausprobieren auf die zwei, drei Tools zu beschränken, die akzeptiert sind und von den meisten beherrscht werden – nichts ist im Moment schlimmer, als die Unsicherheit noch dadurch zu steigern, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich jede Woche mit einem neuen Tool beschäftigen müssen, nur weil ein Feature da besser gestaltet oder dort die Datenübertragung noch ein bisschen fixer ist.

WiM: Welche Chancen und Risiken bestehen für den Teamzusammenhalt, wenn sich Beschäftigte ausschließlich virtuell sehen und besprechen?

Hillebrecht: Fangen wir mit den Risiken an – die Scheuklappen werden enger und größer, das persönliche Commitment sinkt, die Gefahr von Reibungen steigt, weil Kritisches nicht mal schnell in der Kaffeeküche geklärt werden kann. Und wenn man sich ärgert, ist halt schnell eine Mail mit üblen Sachen geschrieben, am besten mit zehn Kollegen in Cc – das ist die große Konfliktgefahr. Und die wiegt schwerer als die Gefahr, dass Einzelne ihre Arbeit nicht vollständig erledigen. Als Chef oder Chefin dürfen Sie sich dann diesen Personen besonders widmen und die dahinter stehenden Probleme besprechen – Rabatz ist ein Ventil für fehlende Anerkennung, da hat man dann wenigstens fünf Minuten Aufmerksamkeit.

Als Chance sehe ich die Möglichkeit, sich auf wesentliche Dinge zu beschränken, die Aufgaben und die Verantwortung klarer einer Person zuzuweisen und auf die Abstimmung untereinander zu setzen. Die Leute organisieren sich schon ganz gut, vor allem, wenn sie wissen, wer mit wem gut kann. Selbstorganisiertes Team-Building sozusagen.

WiM: Wie schaut für Sie – aus kommunikationstheoretischer Perspektive – der ideale Mix aus Präsenz und Remote-Arbeit aus?

Hillebrecht: Aus der Erfahrung der Covid-Zeit heraus: 30 bis 40 Prozent der Arbeitszeit remote, damit man in Ruhe arbeiten kann, und den Rest in der Firma, für die gemeinsame Abstimmung, den Teamzusammenhalt, den Kundenservice und so weiter.

WiM: Herr Prof. Hillebrecht, vielen Dank für das Interview

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