Verliert der Buchhandel die jungen Familien?

Verliert der Buchhandel die jungen Familien?

Bild Copyright: Screenshot buchreport.magazin mai 2021

Der Online-Handel wächst weiter stärker als der als der stationäre Handel. Vor allen Kinderbücher und Elternratgeber werden online geshoppt. Wie kann der stationäre Buchhandel die jungen Familien zurückgewinnen?

Anfang April hat buchreport im Rahmen einer Umfrage unter gut 550 überwiegend kleineren und mittleren Buchhandlungen unter anderem gefragt: Verliert der stationäre Buchhandel die jungen Familien?

  • 61% sagten NEIN
  • 22% sagten JA
  • 17% waren sich nicht sicher

Wie kam es überhaupt zu dieser Frage? Es gibt Indizien aus dem Einkaufsverhalten von Kinder- und Jugendbüchern. Seit einigen Jahren legt der Kinder- und Jugendbuchmarkt ständig stetig zu und erweist sich stabilisierendes Marktsegment. Diesem Wachstum konnte auch die Coronakrise nichts anhaben, im Gegenteil: Wie schon 2019 hat das Kinder- und Jugendbuch auch 2020 um fast 5% zugelegt. Ein Befund, der in der Branche nicht nur wirtschaftlich, sondern auch unter dem Aspekt der Leseförderung gefällt.

Aber es gibt die auffällige Schere, dass diese Kinderbuch-Konjunktur in den Vertriebswegen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Zwar entwickelt sich der online generierte Umsatz ohnehin in allen Segmenten besser als der stationäre, aber in keinem Segment so signifikant wie im Kinder- und Jugendbuch. Das war bereits 2019 auffällig und ist in Zeiten der stationären Pandemie-Einschränkungen noch viel ausgeprägter:

  • 2020 lag das Kinder- und Jugendbuch in Deutschland insgesamt 4,7% im Plus, aber stationär mehr als 6% im Minus - eine Spreizung von 11 Prozentpunkten, mehr als in jeder anderen Warengruppe.
  • Im lockdowngeprägten 1. Quartal 2021 ging die Schere mit +15% versus -14% sogar 29 Punkte auseinander, auch das ist deutlich überdurchschnittlich.

Das heißt: Der Trend zum Online-Kauf ist bei Kinder- und Jugendbüchern deutlich ausgeprägt. Und weil Kinder- und Jugendbücher für eine bestimmte Käufergruppe stehen, lässt das folgenden Schluss zu: Für junge Familien ist der Online-Handel beim Bucheinkauf überdurchschnittlich attraktiv.

Das die Käufergruppe junge Familien generell sehr onlineaffin ist und die Möglichkeiten des Online-Einkaufs gerne und intensiv nutzt, erscheint plausibel. Es wird in der Marktforschung, im breit angelegten Handelspanel von Media Control beim Kinderbuch explizit sichtbar, weil besonders junge Familien Kinderbücher kaufen. So weit der "Indizienbeweis". Der Trend, dass der stationäre Buchhandel junge Familien verliert, dürfte dann auch für andere Buchkäufe gelten. Was tun?

Die Buchhandelsberaterinnen Christian Goebel, Gudula Buzmann und Ellen Braun haben sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. buchreport hat sie befragt, wie man junge Familien in die Buchhandlungen lockt beziehungsweise wie die Beziehung zu dieser besonders onlineaffinen Kundengruppe gepflegt werden kann.

Wiedererkennung schaffen
Ausgelöst durch zahlreiche örtliche Initiativen und letztlich auch verstärkt durch die Corona-Pandemie spielt sich das Leben immer im Nahbereich ab. Stadtteil-Buchhandlungen haben dadurch einen Standortvorteil gegenüber Buchhandlungen in Einkaufscentern und großen Innenstädten, die den Frequenzverlust deutlich spüren. "Wenn der Einzelhandel keine Attraktivität mehr darstellt, dann gibt es auch für niemanden einen Grund mehr dort einzukaufen", sagt Christian Goebel. Der Buchhandel hatte im vergangenen Jahr das große Glück, bereits auf ein funktionierendes Online-Vertriebsnetz zurückgreifen zu können. Wenn diese Angebot funktioniert, einfach bedienbar ist, aktiv kommuniziert und mit der der lokalen Buchhandlung verbunden wird, kann dies die onlineorientierte Kundschaft halten und sie nicht zu Amazon oder anderen Shops großer Anbieter abwandern lassen. Nicht nur mit Blick auf die jungen Familien sehen die Beraterinnen einen gut gepflegten und interaktiven Online-Shop als das A und O an, sichtbar verbunden mit dem stationionären Geschäft. (siehe detailliert in den Statements).

Dabei geht es in der Kundenansprache um ein rundes Erlebnis auch in kleinen Dingen. Ein Beispiel vom Ende des Einkaufs: In einer Zielgruppe mit Vorliebe für das Onlineshopping spielt auch ein Aspekt wie das "Unboxing", also das Auspacken der Ware, eine wichtige Rolle. Die Pakete der großen Shops sind schon von außen durch Markenlogos erkennbar, das Branding findet sich in der Regel am und im Paket wieder. Viele Buchhandlungen achten beim Versand mehr auf die Nachhaltigkeit und recyceln für den Versand Packmaterial, in dem sie selbst Ware erhalten haben. Das Kunststück: dies als Stärke zu vermitteln und zugleich die eigene Marke sichtbar zu machen. Ellen Braun hat mit einigen von ihr betreuten Buchhandlungen Paketbänder entworfen, die das Logo der Buchhandlung enthalten. So kann auch aus einem recycelten Karton ein Unboxing-Erlebnis mit Wiedererkennungswert für den Kunden werden.

Social-Media-affine Kunden
Am Anfang steht die Frage nach den Kontaktpunkten zum Kunden. Die Zielgruppe der jungen Familien wird sich vermehrt auf sozialen wie Instagram finden. Bei der Bespielung der Social-Media-Kanäle muss man laut Gudula Buzmann vor allem auf folgende Punkte acht geben:

  • Die richtige Wahl: Buchhändler sollten so lange nach der für sie passenden Plattform und Kommunikationsstrategie suchen, bis sie etwas finden, was "ihnen so leicht fällt, wie das morgendliche Schuheanziehen".
  • Die richtige Strategie: Sind Plattform und Strategie erstmal festgelegt, muss daraus eine Kampagne entstehen und nicht nur eine Sammlung von Einzelteilen.
  • Vielfalt und Abwechslung: Wenn mehrere Kanäle bespielt werden, sollten Instagram, Facebook und Co. individuell behandelt werden, weil auch die Kunden oft mehrkanalig unterwegs sind.

Digitale Beratung
Zu einer digital auftretenden Buchhandlung gehören laut Ellen Braun aber nicht nur ein guter Online Shop und gut gepflegte soziale Netzwerke: "Mobile, digitalisierte Beratung wird immer wichtiger. Warenwirtschaftssysteme auf Handys oder Tablets ermöglichen auch die Beratung, wenn der Kunde nicht in die Buchhandlung kommen kann, wofür es zahlreiche Gründe geben kann". Die Beratung sollte generell nicht an das persönliche Erscheinen im Ladenlokal gebunden sein: "Durch Video-Calls und Chats kann ein Kunde meine Buchhandlung betreten, ohne physisch vor Ort zu sein". Gerade für junge Familien mit Babys und Kleinkindern sei dies eine willkommene Alternative zum für Eltern oftmals aufwendigen Ausflug in die Buchhandlung.

Emotionaler Mehrwert
Die drei Buchhandelsberaterinnen sind sich einig: Ziel muss es sein, den Kunden digital dort anzusprechen, wo er sich auch in seiner Freizeit gerne aufhält und ihm beim Einkauf einen emotionalen Mehrwert zu bieten. "Menschlichkeit ist letztendlich entscheidend. Besonders durch das aktuelle Social Distancing hungern die Leute nach Nähe und vertrauten Gesichtern. Ich muss als Buchhändlerin zu einer guten Freundin meiner Kunden werden, denn das ist etwas, was der E-Commerce nicht leisten kann", fasst Ellen Braun diese Zielsetzung zusammen. Es geht also darum, den Ort Buchhandlung emotional aufzuladen, was sowohl durch die digitale als auch die stationäre Kommunikation möglich ist: "Buchhandlungen müssen eine flexible Beratung anbieten, die sich den Bedürfnissen der jungen Familie anpasst. Sei das nun eine Beratung in der Buchhandlung, vor der Tür oder aus digitalem Wege."

Die kinderfreundliche Buchhandlung
Die stationäre Kommunikation sollte im Jahresverlauf dieses zweiten Pandemiejahres wieder wichtiger werden. Im Kinderbuchbereich müssen sowohl Kinder als auch ihre Eltern erfolgreich angesprochen werden. Auch wenn die Eltern letztlich die kaufentscheidenden Kunden sind, dürfen die Kinder auch als Käufer von morgen nicht vergessen werden. Hier sind der Auftritt und die Aufenthaltsqualität aus einer Doppelperspektive - Erwachsender und Kind - zu betrachten:

  • Gudula Buzmann: "Platz schaffen! Viele kleine Tischchen und Aufsteller sind für Kinder das Paradies und für Eltern der Horror. Kinder fassen alles Erreichbare an. Wenn man dann streng wird, hilft das gar nichts, denn so bringt man die modernen Eltern eher gegen sich auf."
  • Christian Goebel: Eltern gehen immer dahin gerne, wo sie wissen, dass sie mit ihren Kindern willkommen sind. Wenn Kinder die Bücher in den Regalen nicht anfassen dürfen, ist das kontraproduktiv.

Goebel sieht den großen Vorteil der kleineren und mittleren Standortbuchhandlungen in der emotionalen Verbindung, die Kunde und Buchhändler haben: "Die Kunden möchten gerne mit einem guten Gefühl einkaufen, sie möchten ihre Lieblingsgeschäfte auch in der Pandemie unterstützen können."

Auch Gunda Buzmann wirft schließlich einen differenzierten Blick auf das viel genutzte Schlagwort von der Kundenbindung: "Der Begriff -Verbinden- ist besser, denn Menschen möchten sich mit anderen Menschen verbinden. Sie möchten sich jedoch ungern festlegen, auch bei bleibender Verbundenheit. Das schafft man durch eine gute Online-Kommunikation." Sogenannte "Sagen Sie es weiter"-Kampagnen seien dabei hilfreich. "Dieses Empfehlungsmarketing immer wieder aktiv anstoßen - wenn man sich selbst nicht mehr hören kann, ist man auf dem richtigen Weg."

Ellen Braun 

Der Onlineshop als zweiter Laden
Ellen Braun, Beraterin und Coach mit den Schwerpunkten Personal- und Organisationsentwicklung sowie Marketing, hat jahrelange Erfahrung im Buchhandel. Sie liebt und lebt die Digitalisierung, setzt sich vermehrt mit den Themen künstliche Intelligenz auseinander und versucht Wege zu finden, diese auch im Buchhandel zu implementieren.

"Viele Buchhandlungen nutzen die White-Label-Shops der Barsortimente. Das ist nachvollziehbar, denn sie sind unkompliziert. Allerdings fehlt die Einzigartigkeit, die Marke der Buchhandlung steht nicht im Vordergrund. Außerdem bringt einen ein White-Label-Shop im Google Ranking nicht nach oben, meine Webseite ist also schwerer zu finden. Ein White-Label-Shop bietet eine gute Grundlage, sollte jedoch individuell erweitert werden. Einige Buchhandlungen haben zum Beispiel die Förderung von Neustart Kultur genutzt, um mit Marketingagenturen individuelle und im Gedächtnis bleibende Buchhandlungs-Homepages zu entwickeln. Eine inhabergeführte Buchhandlung lebt von der Persönlichkeit der Inhaberin oder des Inhabers, das muss sich auch auf der Homepage, aber auch auf allen Social-Media-Kanälen widerspiegeln. Buchhändler sollten ihren Onlineshop als zweiten Laden betrachten und ihn entsprechend pflegen."

Christiane Göbel

Verschränkung von online und offline
Christiane Göbel ist Buchhändlerin, Supervisorin, Kommunikationsberaterin und Diplompädagogin. Sie coacht Buchhändler u.a. in den Bereichen kundenorientierte Kommunikation, Arbeitsorganisation und Konzept- sowie Strategieentwicklung. 

"Aus der Perspektive der Kunden und Kundinnen ist die Verschränkung von online und offline ideal, besonders in der Pandemie. Die Bestellwege werden situativ, der aktuellen Lage und den Bedürfnissen entsprechend genutzt, die Online-Shops der kleineren Buchhandlungen sind präsent. Kunden/innen freuen sich, so in Verbindung bleiben zu können, weil es im Buchhandel eine ausgeprägte Kundenbindung gibt. Viele Buchläden haben im Blick, wen sie auf welchem Weg am besten erreichen, insofern ist die Webseite eine niedrigschwellige Informationsquelle für alle, die nicht auf Social Media unterwegs sind. In Buchläden hört man oft den Satz, dass sich das Stöbern vor Ort nicht ersetzen lässt, gleichzeitig sind alle dankbar, dass an online in Kontakt bleiben kann. Viele sind darüber hinaus via Social Media sehr erfolgreich vernetzt und sind im lebhaften Austausch mit ihren Zielgruppen, u. a. auch in den jungen Familien."

Gudula Buzmann 

Die Atmosphäre des Ladens online spüren
Gudula Buzmann, Buchhändlerin und Diplomkauffrau, coacht seit 2007 Buchhandlungen und versuch mit ihnen individuelle Visionen und Geschäftsmodelle zu entwickeln und kann dabei auf ihre lange Führungserfahrung im Buchhandel und Bildungswesen zurückgreifen.  

"Menschen brauchen Gemeinschaft, sie möchten mit Bekannten in Verbindung bleiben. Buchhandlungen können diese Verbindung im Web gut durch bessere Onlineshops erreichen. Ziel ist es, den stationären Laden so online anzubilden, dass man die Atmosphäre des Ladens auch im Onlineshop spürt, nahezu riecht. Das können die Buchhändler über Worte schaffen, über gutes Texten. Wir sind eine Branche, die texten kann. Und letztendlich verzahnt sich die Onlinewelt mit der Offlinewelt: Wer seine Schaufensterscheibe nicht putzt, der hat nicht so viele Kunden vor dem Schaufenster stehen wie derjenige, der sein Schaufenster pflegt. Genauso müssen Onlineshop, Instagram, Facebook oder der WhatsApp-Status gehegt und gepflegt werden - und zwar alle entsprechend ihrer Zielgruppe."

Scroll to top
Cookie-Einstellungen